Als ich Wolfgang Ullrich Ende 2018 in die Konzeption meines Projektes Autopsie einer Bildkritik einbezog, arbeitete ich schon über ein Jahr an einem Projekt zu den Abdruckverboten in seinem Buch „Siegerkunst – Neuer Adel, teure Lust“ [1].
Das Buch selbst ist, nach Ullrichs eigenen Worten, „den markanten Veränderungen des Kunstbetriebs seit Beginn des 21. Jahrhunderts gewidmet. Eine Beobachtung ist, dass Künstler nicht mehr grundsätzlich eine Außenseiterrolle einnehmen, sondern in dem Maße, in dem sie Mächtige und Erfolgreiche (Sieger der Gesellschaft) als Kunden haben, selbst über Macht verfügen. Eine weitere Beobachtung besteht darin, dass künstlerische Arbeit oft nicht mehr auf die Werkproduktion beschränkt ist, sondern sich vieles, was im weiteren als Qualität gewürdigt wird, erst in der Postproduktion entscheidet. Für Künstler ist also die Art und Weise, wie sie z.B. in Interviews über sich und ihre Arbeit sprechen, das nachträgliche Transparentmachen ihrer Werkprozesse oder die wechselnde Kontextualisierung ihrer Werke bedeutsam für ihr Ansehen und, vor allem, ihren Marktwert.“
Die kritische Analyse des speziellen Künstler- und Sammlerhabitus und die These einer „Siegerkunst“ als Rückkehr feudalistisch-aristokratischer Strukturen im Kunstbetrieb führten dazu, dass die
Rechteinhaber*innen die Abdruckgenehmigung von insgesamt 8 Abbildungen nicht erteilten. Nicht nur das Buch selbst, auch die Hintergründe der Abbildungsverbote wurden ein Thema in der Fachpresse.
Zu den eher vorgeschobenen als nachvollziehbaren Gründen veröffentlichte Wolfgang Ullrich eine Stellungnahme auf seinem Blog.
In der Regel verzichten Verlage einfach auf den Abdruck, ohne dass eine Lücke beim Leseerlebnis oder ein Wahrnehmungsbruch entsteht. Der Wagenbach Verlag Berlin stellte diesen Sachverhalt im Buch
dagegen explizit dar:
Da ich zur gleichen Zeit auch auf den Streit um die „Causa Wagner“ zwischen Wikimedia Deutschland und den Reiss-Engelhorn-Museen
aufmerksam wurde, habe ich daraus zwei Projekte entwickelt, die Fragen zu Originalität und Reproduktion, zur zweckentfremdeten Instrumentalisierung von Gesetzen und zu Herrschaftsverhältnissen
bei der Zugänglichkeit von Bildern thematisieren sollen.
Für das Projekt „Verbotene Siegerkunstbilder“ war es mir zunächst wichtig, dass detailreiche Motive nicht bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert, sondern sofort erkannt werden sollen. Da das Projekt
als Bilderserie konzipiert wurde, habe ich für meine Technik der Bildrasterung in 1 x 1 cm-Kästchen verhältnismäßig große und identische Formate gewählt. Die Vorlagen entsprachen digitalen
Bilddateien mit der Auflösung von 136 x 96 Pixeln, als Gemälde im Format 140 x 100 cm beinhalten sie jeweils 13056 Kästchen. Da das Buch nur Schwarzweißabbildungen zeigt, hatte das auch für die
Gemälde zu gelten.
Für die Umsetzung entscheidend war nicht die Sichtbarmachung der Motive im Sinne einer Ontologie der Artefakte. Ein simples Abmalen als Bildprotest war mir konzeptuell zu unterkomplex und hätte
den Bezug zum sprichwörtlichen Verbot des Abdrucks im Buch nicht benötigt.
Um den Aspekt des Verborgenen als Synonym des Bildverbots wiederzugeben entschied ich mich, digital generierte Negative aus den im Internet frei verfügbaren Abbildungen anzufertigen. Im
klassische Film-Negativ ist das positive Bild nur latent vorhanden und in der rezipierenden Wahrnehmung ist es allenfalls unter Anstrengung möglich, das Motiv bleibt weitgehend verborgen. Das
Artefakt einer Abbildung des Originals lässt sich nur über den Umweg einer erneuten Umwandlung als Negativ sichtbar machen und somit wieder über die Generierung eines neuen Artefakts.
Das Gemälde „Thomas Ruff: Porträt Karen Boros, Foto: Wolfgang Stahr“ hat seit 2023 den perfekten Platz in der Wohnung von Wolfgang Ullrich gefunden, es ist mir eine große Ehre.