Der Leipziger Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich ist nicht nur einer meiner
besten Freunde, er ist vor allem der wichtigste Sparrings-Partner für meine Kunstprojekte. Zusammengeführt haben uns sehr ähnliche, oft gemeinsame Auffassungen zu verschiedenen Bildphänomenen und
unsere grundsätzliche Skepsis gegenüber den Mythen, Aufladungen und Heilsversprechen der Kunst.
Aus dem ständigen Austausch heraus entwickelte ich 2017 ein Projekt, Bilder der für den Druck untersagten „Siegerkunst“-Fotos aus seinem gleichnamigen Buch umzusetzen.
Während ich Wolfgang Ullrich dabei lediglich auf neuestem Stand hielt, suchte ich für die „Autopsie einer Bildkritik“ von vornherein und ganz bewusst den intensiven Dialog – zu viele Fragen
beschäftigten mich, auf die ich allein kaum alle Antworten gefunden hätte. So entwickelte sich während der fast zweijährigen Arbeit ein ständiger Austausch über E-Mail oder Twitter-Nachrichten,
der am Ende inklusive Bildmaterial 73 Word-Seiten füllte. Keine Zusammenfassung vermag es, die vielen Gedanken, Überlegungen und Entscheidungen, an denen Wolfgang Ullrich mittelbar immer
beteiligt war, auch nur ansatzweise in der Quantität und Komplexität des Dialogs zu vermitteln. Wir beschlossen deshalb gemeinsam, diesen Dialog zu veröffentlichen, erschien er uns als
schriftliche Dokumentation der Projektgenese doch ebenso wichtig und rezeptionswürdig zu sein wie die Fotos, Videos und begleitenden Texte.
Werkgenesen, Kunstwerkgenesen ohnehin, unterliegen in der Retrospektive der Gefahr, Entscheidungsprozesse verkürzend zu nivellieren, Konflikte und Zweifel auszublenden und das gesamte Projekt nur
aus der Perspektive und Evidenz des Ergebnisses zu betrachten. Während das grundsätzlich für alle Werkgenesen gilt, also auch für Designprozesse, Industrieprodukte oder Werke der Architektur, ist
die Verlockung einer zwingend erscheinenden, ja genialischen Genese im Bereich der bildenden Kunst, der Musik oder der Literatur umso größer. Künstler*innen, so die allgemeine Vorstellung,
pflegen bei ihrer Werkgenese nur den Dialog mit sich selbst.
Diesem Schöpfer*innen-Mythos entgegenzutreten, der offenbar von einer Sehnsucht nach begnadeten Magiern, göttlich inspirierten Heilern oder genialen Vermittlern übersinnlicher Wahrnehmungen
getragen wird, wäre für mich schon Grund genug, diesen Dialog zu veröffentlichen.
NP, 18.11.18
Ich habe heute stundenlang an einem Bild gesessen, mit dem ich Andreas Mühe und sein pseudoromantisches "Kreidefelsen"-Bild auf meine Art kritisieren will. Ein Unterfangen, das seit über einem
Jahr Gedankenarbeit bis heute kein realisierbares Ergebnis brachte, zu dem ich stehen konnte.
NP, 28.11.18
Bei dem in meiner letzten Mail erwähnten Beispiel ging es einerseits um Andreas Mühes Kunst, andererseits um das Problem, wie ich dafür ein anderes Bild verwenden, also fremd aneignen konnte,
ohne die notwendige Distanz zu unterschreiten. Dieses zweite Bild beschäftigt mich schon länger, es ist eines der Fotos, die ein Mitglied des sogenannten Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau
machte und als Dokumentationsbeleg der polnischen Resistance übermittelt wurde und bereits Gerhard Richter vor die unlösbare Aufgabe der Weiterverarbeitung stellte. Ich kannte die Fotoreihe schon
lange und beschäftigte mich damit, als Richter mit dem formal gesehen geradezu ikonoklastischen und damit verwerflichen Birkenau-Zyklus an die Presse ging, flankiert und abgesegnet durch Georges
Didi-Huberman, der diese hochnotpeinliche Tragik eines Kunstwollens nicht realisierte. Alle Versuche, das Foto der in die Gaskammern getriebenen Frauen vor dem Waldstück so umzusetzen, dass die
Integrität dieser Menschen unangetastet bleiben konnte, schlugen fehl. Es gab für mich keine Möglichkeit einer angemessenen Distanz bei unangetasteter Beibehaltung des Motivs.
Einige Monate blieben die Versuche auf dem Rechner. Als ich Mühes Foto „Kreidefelsen“ sah, erinnerte mich sofort daran, was Adorno meinte, als er sagte, nach Auschwitz noch ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch. Es ging ihm nicht um Prosa per se, wohl aber um die Negierung und Verneinung dieses Zivilisationsbruchs, den Gauland ja schon wieder als „Fliegenschiss“ bezeichnete, womit er ebenfalls vom Konkreten ins Allgemeine der Weltgeschichte abdriftete. Mühe wiederum sucht ebenfalls unter Umgehung dieses Zivilisationsbruchs die Nähe zu einer mit nationalistischen Ikonen unsäglich aufgeladenen Zeit aus Erhabenheit altdeutschen Naturerlebnisses vor einem altdeutschen Wald und einem altdeutschen Künstler der Romantik, der aber gerade beim Kreidefelsen-Gemälde keinen Wald zeigte. In Anlehnung an Adorno bin ich überzeugt, dass diese Art und Weise, einen deutschen Wald zu zeigen, nach den Ereignissen im Wald von Birkenau eine Barbarei darstellt.
Erst als ich mit den fotografierten Frauen den eigentlichen Kerninhalt des Fotos entfernte, hatte ich dem Bild die Freiheit gegeben, in einem neuen Kontext von mir verwendet zu werden. Dieser Kontext umfasst weit mehr als nur eine Aneignung als gekachelte Umsetzung. Während ich als Betrachter meiner Wahrnehmung ausgeliefert bin, mir aber dessen bewusst sein kann, ist das angeeignete Bild selbst – und damit das Objekt dieser Wahrnehmung – völlig ungeschützt der Aneignung und deren Wahrnehmung ausgeliefert. Insofern beinhaltet der Freiheitsgedanke der ikonoklastisch eingreifenden Retusche auch eine Schutzmaßnahme vor dem phänomenologischen Ausgeliefertsein (ich muss das noch mal in Ruhe überdenken, im Moment scheint es für mich so zu stimmen).
Ich habe dann das Sonderkommando-Foto farblich möglichst identisch zu Mühes Kreidefelsen koloriert, wodurch es nicht nur zeitlich aus dem originalen Kontext als Schwarzweiß-Beweisfoto mit einer alten Kamera fällt, sondern einen direkten Zusammenhang zu Mühes Foto herstellt, das dadurch natürlich eine Kritik am Rande der Verunglimpfung erfährt. Ich habe zur Bildansicht gestern beide nebeneinandergestellt und erkannte dann, dass eine horizontale Spiegelung des Auschwitz-Fotos (und damit ein weiterer Eingriff in das Bild) zusammen mit einer gekachelten Variante des Mühefotos eine gespenstisch geometrische Kompositionsästhetik in Form von Pendants, ja fast die Form eines Diptychons erhält. Ich muss das Mühebild mal quadratisch beschneiden und beurteilen.
Hier ist es. Ich habe es zur besseren Ansicht vor einen grauen Hintergrund gesetzt:
Angelegt habe ich die Bilder mit einer 1cm-Kachelung für die Höhe von 140 cm, das würde in der Kombination vermutlich fast eine Jahresarbeit werden. Ich denke, Mühe würde mich dann aber verklagen.
Tja, lieber Wolfgang, kann man das überhaupt machen?
WU, 29.11.18
Die Herleitung und Konzeption des Birkenau-Richter-Mühe-Pendants ist höchst aufregend. Ich glaube, Du hast da eine ganz neue und eigene Form der Kunst- und Bildkritik gefunden. Ich will das nur
in Ruhe nochmal durchdenken, vor allem überlegen, ob und wie sich eine solche Konzeption auch missgünstig auslegen ließe. Gerade das Entfernen der Frauen auf dem Foto ist ein heißes Thema, von
Dir glasklar und gut begründet, aber eventuell auch als Provokation empfindbar. Die Tradition des Verschwindenlassens von Personen ist ja doch meist mit Zensur und Gewalt assoziiert.
NP, 29.11.18
Ja, ich habe die Frauen weggelassen und durch etwas anderes ersetzt, das ist ein Eingriff als negative Retusche in Form der Zensur. Ich habe das nochmal geändert, ein Unsichtbar-Machen des
Bildbereichs wäre die bessere Lösung. Dann fiel mir selbst noch der Umstand auf, dass ich zwar das Auschwitzfoto verändert habe, nicht aber das Mühefoto. Dadurch wird ein Kontext zwischen Vorbild
und Nachbild hergestellt, der in dieser Kombination nur noch eine reine Kritik an Mühe wäre, während die Barbarei von Auschwitz durch die Modifizierung in Richtung Mühe-Ästhetik einen rein
instrumentalisierten Charakter erhalten würde. Fazit: ich muss auf gleiche Weise ebenso das Mühefoto in Richtung des Sonderkommando-Fotos aus Auschwitz modifizieren.
NP. 30.11.18
Ich war immer noch nicht zufrieden mit meiner letzten Variante der Umsetzung. Die auswechselnde Kolorierung der Motive brachte mich dann zum Entschluss, beide in einem Bild zusammenzufassen und
noch eine weitere Ebene der invertierten Bearbeitung einzusetzen. Wiederum ist es das Mittel des Negativs in Verbindung mit einer starken Reduzierung der ursprünglichen Tonwerte. Zusätzlich habe
ich aus dem Motiv von Mühe die am Baum lehnende Figur des männlichen Aktes aus dem Bild retuschiert.
So gibt es also nicht nur eine Umkehrung der Farben zwischen den Motiven, sondern auch eine Umkehrung der Farben an sich. Ich schicke es Dir einmal zu, zusammen mit einer verkleinerten Ansicht,
wie die Umkehrung des Negativs aussehen würde (also das Positiv). Was hältst Du davon? Ist es unmissverständlich und konkret genug, und ist das Konzept dahinter auch nicht zu verrätselt?
WU. 30.11.18
1. Vom Auschwitz-Bild nur einen Ausschnitt zu nehmen, finde ich sehr gut, damit ist der mögliche Vorwurf einer Zensur aus der Welt.
2. Das Mühe-Foto ebenfalls zu verändern, ist dann nur logisch.
3. Den Tausch der Farbigkeiten finde ich absolut richtig und wichtig - so wird deutlich, wie sehr Du beide Bilder als zwei Seiten desselben ansiehst.
4. Die Inversion der Farben könnte es für die Rezipienten schwerer machen, Deine Kritik als solche zu erkennen. Die typisch romantische Farbigkeit ist dann ja erstmal nicht zu sehen - und man
rätselt über die Verfremdung und den Grund dazu. Ich sehe dieses Stilmittel in diesem Fall also (noch) nicht als notwendig an.
5. Ebenso bin ich nicht sicher, ob es im Sinne einer Kritik an Mühe sinnvoll ist, die Farbwerte abzuschwächen. Das Problematische seiner Ästhetik ist ja gerade die pornografische Isolierung romantischer Effekte. Und das Gemein-Schöne Deiner Kritik besteht darin, diese Romantikpornografie nun auf das Auschwitz-Foto rückzuprojizieren. Das finde ich ein großartiges Manöver, würde es aber nicht abschwächen durch reduzierte Farbwerte.
NP, 30.11.18
Du hast meine eigenen Unsicherheiten bezüglich der Relevanz der letzten Iteration überzeugend bestätigt, danke! Anbei die Finalfassung, das wird dann (irgendwann) ein Bild in der Größe 70 x 140
cm.
Du hast absolut recht, was die Problematik von Mühes Ästhetik angeht: Da regen sich wirklich alle Instinkte deutschromantischer Traditionen der Kunst, die ich auch als prägenden Bestandteil des
späten Nationalstaats im 19. Jahrhundert betrachte. Was ab 1871 neben Arminius und Gotik vor allem zur zeitlich noch nahen Epoche der Opposition zum Franzosen Napoleon passte, wurde gleich in den
neuen Nationalismus zwangsverhaftet. Darin liegt glaube ich auch der Grund, warum gerade die Nazis sich auf den komplett überkommenen Kunstkanon einigen und sich auch der großen Mehrheit der
Bevölkerung sicher sein konnten, während andere faschistische Staaten wie Spanien und Italien überhaupt keine Berührungsängste mit der Moderne hatten.
Mühe bedient vor diesem historischen Hintergrund genau diese Affekte. Ich hätte ja kein Problem mit Mühe, wenn er diese Tradition mit den inhaltlichen Mitteln der Satire, einer
intelligent-kritischen Auseinandersetzung oder einfach nur in einer freien und ‚geläuterten’ Aneignung neu destillieren und damit die ursprüngliche und schädliche Aufladung vertreiben würde, er
macht sich aber zu einem Anwalt der Beschwörer dieser tot geglaubten Geister.
WU, 1.12.18
Deine neue Version des Pendants ist nun sehr viel schlagkräftiger - die Kritik an Mühe von leuchtender Präzision. Heute Nacht, als ich mal wach lag, habe ich nur nochmal über das Format nachgedacht. Woran orientieren sich die Maße von 70 x 140? Das Friedrich-Bild, das Mühe als Referenz hat, ist ja kleiner, das Mühe-Foto selbst hingegen größer. Meinem Gefühl nach würde ich die Bilder eher noch ein wenig kleiner machen. Dass die Auschwitz-Fotos zu so riesengroßen Malereien verwendet wurden, fand ich bei Richter mehr als fragwürdig. Sie waren nie auf solche Formate hin angelegt. Und passt zu der Heimlichkeit, mit der die Fotos gemacht wurden, nicht ein kleineres Format besser?
NP, 1.12.18
Stimmt, Richters Arbeiten sind auch bezüglich der Ausmaße völlig unpassend, weil zu herrschaftlich. Tatsächlich hatte ich die Bilder vor allem wegen der Details des Mühe-Fotos ursprünglich für zwei Großformate von 140x140 cm geplant, inklusive 4 cm Rand. Bei der Umsetzung merkte ich dann selbst, dass das zwar mit dem Kreidefelsen-Foto, aber nicht im Kontext mit dem heimlich aufgenommenen Auschwitz-Foto funktioniert, in vielerlei Hinsicht. Ich hatte versucht, das sogar auf Bildflächen im Format von 30 cm herunterzubrechen, aber wie Du selbst angemerkt hast, das ging nicht ohne eine abstrahierende Entfernung vom Motiv, das dann schon wieder zu abstrakt gewesen wäre. Aus den 140 cm großen Bildern habe ich dann anhand der doppelten Kachelgröße 70 cm große Objekte berechnet. Das zum Hintergrund des Formats.
Deine Anmerkung hat mich überzeugt, es mit einer Zwischengröße zu versuchen. Ich konnte die beiden Motive nun aber auf je 44 x 44 cm Größe umrechnen, so dass sie immer noch gut genug erkennbar bleiben, erst recht in einem gewissen Abstand. Was mich dann aber mehrere Stunden umtrieb, war der formale Aspekt der Präsentation, die nicht nur jedes Motiv für sich in Anspruch nimmt, sondern auch die Beziehung zueinander verlangt, um den Kontext angemessen herzustellen. Was mich neben der Formatfrage dann noch störte, war der typische Werkcharakter als Gemälde oder Flachware, also die fehlende Objektdistanz zwischen meinem Vorhaben und beispielsweise den Richter-Bildern. Das berührte Fragen der Präsentation. In diesem Fall besteht die Gefahr eines kompletten Missverständnisses, das unter Umständen zu den auch von Dir erwähnten Auslegungen als Provokation, Zensur, Gewalt oder niveauloser Geschmacklosigkeit führen könnte.
Da ich den Kontext nicht nur durch willkürliche Farbveränderungen manipuliere (der formal-technische Aspekt der Kachelung ist dort weniger entscheidend), sondern ihn aus konzeptuellen Überlegungen heraus überhaupt erst konstruiere und damit eine Korrelation herstelle, die sich weder offensichtlich noch augenscheinlich ergibt, musste ich dem Kontext selbst eine eigenständige Relevanz geben.
Ich habe deshalb beschlossen, sowohl den Freiraum um die Bilder als auch den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Das Ergebnis soll die Reminiszenz an ein Dokument erhalten, also an eine Buchseite oder Vortragsfolie erinnern. Die Wirkung am Rechner lässt sich am besten vor einem dunkleren Hintergrund beurteilen. Was meinst Du zu dieser aktuellen Endfassung? Das jetzt finale Ergebnis mit beiden Motiven und den Rändern wäre ein Bild in der Größe von 59 x 110 cm (H x B).
WU, 2.12.18
Jetzt bin ich restlos begeistert von der neuen Version! Ich hatte schon die Sorge, Dich vielleicht zu nerven, weil ich nochmal Bedenken geäußert hatte, aber Du hast darauf so fruchtbar reagiert,
dass ich nun richtig glücklich bin. Noch wichtiger als die Formatanpassung finde ich den größeren Rahmen, den Du den Bildern nun gibst. Damit ist von vornherein klar, dass es sich um Abbildungen
handelt, also um Bilder, die Originale als Referenz haben. Dass Du diese aber sorgfältig modifiziert hast, kommt dann als Konzept umso stärker zum Tragen. Und auch der Wechselbezug wird so eigens
zum Thema. Du bist gleichsam der Kurator, der zwei Bilder in eine Konstellation gebracht hast.
NP, 3.12.18
Es geht mir tatsächlich um die Darstellung und um ein Angebot der Rezeption dieser Bilder als Abbilder. Du hast recht, ich mache mich dadurch parallel auch zu einem Kurator dieser Bilder und
übernehme damit in Abgrenzung von reiner Umsetzung ja auch eine Verantwortung, Selbstverpflichtung und Kontrolle gegenüber der Präsentation des eigenen Werks. Diese Ebene hatte ich noch gar nicht
bedacht.
NP, 17.1.19
Das Gesamtmotiv habe ich aufgrund eines Angebots für fertige Keilrahmen auch noch modifiziert, so gefällt es mir sogar noch etwas besser, anbei, es wird nun 60 x 120 cm groß, also doppelt so
breit wie hoch, was auch zum Inhalt passt, aber die Außenabstände habe ich ebenso verändert wie den Abstand zwischen den Motiven, das ist nicht genau ausgerichtet, so bleibt eine wie ich finde
interessante Spannung zwischen den Bildern erhalten. Das Material kommt dieser Tage, eventuell werde ich das ebenfalls fotografisch dokumentieren, dann nicht pro Bild, sondern ebenfalls in
vertikaler Abfolge bei gleichzeitiger Arbeit an beiden Motiven auf der Leinwand.
NP, 1.3.19
Heute beginne ich mit der Vorzeichnung des Gemäldes. Gestern fiel mir dazu mein Projekt aus dem letzten Jahr ein, bei dem ich zur Dokumentation eine Analogkamera verwendete. Jeden Arbeitsschritt
der aus wenigen Grauwerten bestehenden Porträts hatte ich fotografisch dokumentiert.
Ich werde die Konstellation des 75 Jahre alten Fotos aus Auschwitz mit dem modernen Mühe-Foto auch fotografisch dokumentieren. Das ist zwar nur ein kleiner, aber vielleicht gedanklich anregender
Aspekt bezüglich einer Aneignung von Mitteln. An der Digitalkamera werde ich als Objektiv ein Carl Zeiss Jena Sonnar adaptieren.
Dieses Zeiss-Objektiv aus Jena gehört eigentlich zu meiner Contax III aus dem Jahre 1940 oder 1942. Da ich die Geschichte der Dresdner Contax-Produktion von Zeiss-Ikon kannte, war die Kamera
immer auch ein Stück Zeitgeschichte, und ich fragte mich immer, wie viele in Auschwitz ermordete Menschen daran mitgearbeitet haben, ob und wieviel Blut im übertragenen Sinne wohl an diesem
Apparat klebt und wer oder was mit diesem Objektiv fotografiert wurde. Dennoch habe ich die Kamera und später vor allem das adaptierte Objektiv wie jedes andere Gerät verwendet.
Diese Aneignung ist es, die mich dabei als Verbindung zu Mühe interessiert. Während schon die historische Dimension eines simplen Apparats für mich auch mit der Notwendigkeit eines historischen
Bewusstseins zu tun hat, marginalisiert, ja verneint Mühe das Vorhandensein einer solchen Dimension. Aus diesem Grund werde ich ganz bewusst und absichtlich die Fotodokumentation mit diesem
Objektiv aufnehmen, das dadurch erneut zu einem Zeitzeugen wird.
Zeiss-Ikon beschäftigte als Zwangsarbeiter auch sogenannte "Rüstungsjuden", die nicht von den Stadtverwaltungen und der Gestapo deportiert werden durften. Es gab seit Kriegsbeginn den
Interessenkonflikt zwischen Wehrmacht einerseits und Verwaltung/Partei andererseits. Die Zwangsarbeit für Zeiss Ikon bleibt, die meisten Juden arbeiten im Goehle-Werk in der Heidestraße 4, wo
Präzisionszeitzünder für Torpedos, Flak-Brandschrapnelle und Bombenzünder hergestellt wurden (was diejenigen nicht gern hören, die angesichts des Bombenangriffs von 1945 immer noch an die Mär von
der Irrelevanz Dresdens für die deutsche Rüstungsindustrie glauben).
Die Deportationen nach Theresienstadt beginnen Ende 1941. Im November 1942 werden die letzten 300 Rüstungsjuden in das Lager Hellerberg am Nordrand Dresdens gebracht (https://www.stsg.de/cms/stsg/ausstellungen/judenlager_hellerberg).
Im März 1943 werden alle Lagerinsassen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und die meisten unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Nur zehn Dresdner "Rüstungsjuden" überleben
Auschwitz.
WU, 2.3.19
Es wird für mich mehr und mehr deutlich, wie sehr Deine Werke von einer medienkritischen Dichte sind, die ihresgleichen sucht. Was für eine großartige Idee, die Genese der Mühe-Auschwitz-Bilder
mit einer Kamera zu dokumentieren, die im NS entwickelt wurde - u.a. von Menschen, die dann in Auschwitz ermordet wurden. Damit lenkst Du die Aufmerksamkeit auf die Bedingungen von Fotografie
und, im weiteren, von Bildgebung überhaupt. Und so sehr es Dir bei den Mühe-Auschwitz-Bildern um eine politisch-moralische Kritik geht, den Du mit der Wahl des dokumentierenden Fotoapparats
zuspitzt, so sehr geht es Dir bei den Wagner-Bildern, die einem urheberrechtlichen Skandal gewidmet sind, darum, durch die Fotoserie die Fragwürdigkeit und Einseitigkeit urheberrechtlicher
Ansprüche aufzuzeigen. Die Wahl Deiner fotografischen Mittel passt also immer genau zu den Themen der begleitenden Arbeiten.
NP, 2.3.19
Auch wenn in meiner Mail die Kamera thematisch einen so großen Raum einnahm, wollte ich eigentlich nur das Objektiv für die Fotodokumentation verwenden, da ich eine Belichtung auf Film aller
Kästchen mit der Contax-Kamera eigentlich als zu teuer, zu aufwendig und auf Grund der fehlenden Makrofähigkeit ganz schnell verworfen hatte.
Als ich heute Nachmittag noch einmal darüber nachdachte, wurde mir klar, dass so ein geradezu anachronistisch anmutender Aufwand auch bezüglich der dokumentarischen Begleitung des Malprozesses
tatsächlich die konsequenteste Anwendung der Mittel für genau dieses Bild wäre. Es wäre eine weitere Sichtbarmachung des "politisch-moralischen Skandals", wie Du so treffend geschrieben
hast.
Außerdem muss ich nicht beide Bilder in technisch gleicher Art und Weise dokumentieren. Die Kombination aus digitaler und analoger Fotografie mit einer modernen Kamera und Analogfotografie böte
mir vielmehr die Gelegenheit, das eindeutig Trennende der beiden Bilder auch auf der Dokumentationsebene vorzunehmen. Das klingt vielleicht ein wenig zu feingestrickt, aber ich war noch nicht
komplett zufrieden mit meiner Idee, die Kästchenabfolge beider Motive als gemeinsam fortlaufende Reihe in der Fotoanimation zu präsentieren - hier kamen auch bei mir wieder die möglichen
Bedenken, die Du zur Gesamtidee so treffend formuliert hattest.
Der Wechsel der Farbigkeit der Motive macht die Inszenierung Mühes im Sinne einer ästhetischen Anmaßung sichtbar, eine vergleichbare Differenzierung will, ja muss ich aber auch hinsichtlich der
Dokumentation vornehmen. Würde ich beide Motive mit dem Zeiss-Objektiv an einer Digitalkamera aufnehmen, wäre das eine nicht gewollte Vereinheitlichung. In der Fotodokumentation würden beide
Motive wieder zueinanderfinden, obwohl ich gerade das Fehlen der Differenzierung und Trennung in Mühes Werk kritisch hervorheben will - also die durch die Faktizität von Auschwitz offenbarte
Unmöglichmachung jeglicher nationalromantischen und völkischen Ästhetik und deren Offenbarung als "Falsches im Falschen".
Noch ein übersehener Aspekt kam mir nach Deiner Mail ins Bewusstsein: Da die Dokumentierung des Malprozesses ein weiterer, bewusst aufwendiger Akt der Sichtbarmachung meiner Kritik darstellt,
werde ich sie im Falle der Auschwitz-Paraphrase auf dem Bild unterlassen. Das Birkenau-Motiv werde ich ohne diesen Akt einer visuellen Sezierung des Prozesses umsetzen. Außerhalb der Umsetzung
lasse ich dieses Motiv in Frieden, es bleibt von weiteren Aktionen unangetastet, Unterlassen als Respektsbezeugung sozusagen, ja vielleicht sogar als eine Form nachträglicher und legitimer
Tabuisierung.
Als größtmöglichen Gegensatz dazu wird die analoge Fotodokumentation mit der Contax auf Schwarzweißfilm erfolgen. Das wäre auch bezüglich Mühes farblich so gefällig abgestimmter
Abendlichtromantik ein Statement. Ich habe einen sogenannten Contameter aus den späten 30ern, eine Vorrichtung, die Contax moderat makrofähig zu machen. Ich habe diese Kombination mit Objektiv,
Vorsatzlinse und Contameter einmal an der Sony-Kamera getestet, funktioniert immer noch einwandfrei. Anbei übersende ich Dir mal ein Foto.
Morgen werde ich mal nach 10 Jahren die Contax testen.
Ich hoffe, die ganzen Dimensionen meiner Gedankengänge sind später nicht notwendig, das Werk zu verstehen. Sei's drum, ich lasse es darauf ankommen :-)
WU, 3.3.19
Ja, es war etwas voreilig und naiv von mir, zu unterstellen, Du würdest auch bei den Mühe-Auschwitz-Bildern Kästchen um Kästchen fotografisch dokumentieren. Naiv deshalb, weil das für Thema und
Konzept dieser Bilder gar keinen Sinn machen würde. Es geht ja hier nicht darum, Bildlichkeit als solche in ihrer Genese (und Auflösung) zu analysieren und so etwa die Frage nach Urheberschaft
und Urheberrechten zu stellen, sondern es geht um Ästhetiken und moralische Fragen. Aber allein dass Du das eine dokumentierende Foto des fertigen Bildes mit einer Kamera machen wirst, die ohne
Auschwitz-Opfer nicht möglich gewesen wäre, ist eine so starke, so wichtige - und so ungewöhnliche Geste. Welcher Fotograf macht sich schon Gedanken über die Genese der eigenen Kamera? In all
ihrer Eitelkeit glauben die Fotografen lieber, ein Foto sei zu 100% ihnen selbst zu verdanken. Du aber lenkst den Blick gerade auf sonst vergessene Mit-Urheber. Und nimmst zugleich Millionen von
Bildern, die mit demselben Kameratyp entstanden sind, ihre Unschuld.
NP, 4.3.19
Nein, Du warst nicht voreilig und schon gar nicht naiv! Im Gegenteil, ich hatte doch selbst diesen linearen Gedankenstrang streng weitergeführt. Es war vielmehr völlig normal, weil naheliegend,
so zu denken. Mehr noch: durch diesen Gedankenaustausch habe ich erst ganz neue Dimensionen erkannt, genauso, wie Du jetzt wieder für mich die Essenz entdeckt hast, die ich nur in den Ansätzen
gesehen habe. Es ist genau diese Genese der Kamera, die dem von mir postulierten Scheitern von Mühes Ästhetik Geltung verschafft. Das ist der Grund, warum mir das so relevant erschien. Die
Kamera, die nur das Kreidefelsen-Motiv dokumentiert, wird tatsächlich zum wichtigsten Zeugen meiner Mühe-Anklage.
Ich überlege noch, ob es nicht doch sinnvoll wäre, ja noch anklagender, die ohnehin monochrome Kreidefelsen-Paraphrase ebenfalls kästchenweise zu dokumentieren. Natürlich hast du vollkommen
recht, dass es einen wichtigen konzeptuellen Unterschied zu den Siegerkunstbildern gibt, den Du natürlich auch herausgestellt hast. Es stimmt auch, dass die Digitalisate und ihre Animation als
Dokument des Aufwands die eigentliche Rolle bei der Dokumentation der Siegerkunstbilder spielen und nicht die Digitalkamera als technisches Mittel.
Im Fall der Kreidefelsen-Paraphrase gäbe es aber zusätzlich analoges, physisches Material, nämlich Negativstreifen. Das monochrome Kreidefelsen-Motiv beinhaltet 1936 Kästchen und würde damit
ebenso viele Negative generieren. In Filmstreifen mit den klassisch geschnittenen 6 Negativen wären das etwa 325 Streifen. Ich könnte sie auch als Positivkontaktabzüge scannen.
Hintergrund ist, dass die Sonderkommando-Fotos immer nur über singuläre Digitalisate wahrgenommen werden, nicht als zusammenhängender, konspirativer Akt des Fotografierens, der sich nur in der
Betrachtung des entsprechenden Kontaktabzugs offenbart und der auch einen ersten Fehlschuss enthält (und über den ich mir anfangs des öfteren Gedanken machte als Inhalt zum Mühe-Projekt):
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Auschwitz_resistance_photos#/media/File:Auschwitz_Resistance_reconstruction.png
Mühe verbirgt wie fast alle Fotokünstler diesen Akt. Es ist eindeutig, dass es sich nicht um einen augenscheinlichen Schnappschuss handelt, als den es mit schiefem Horizont daherkommt, sondern um
eine generalstabsmäßig geplante Arbeit. Es ist auch nicht klar, wieviel digitale Postproduktion er in sein Foto gesteckt hat. Ich würde dagegen mit der geschichtlich aufgeladenen Kamera ebenso
den Akt des Malprozesses wie den Akt der Fotoerstellung bezeugen, denn die physische Faktizität der Negative belegt ebenso eine Wahrheit wie die Handvoll Negative aus Auschwitz, mit denen
übrigens alle Holocaust-Leugner immer eine viel größere Erklärungsnot hatten als mit böswillig interpretierbaren Augenzeugenberichten. Ich dachte sogar schon daran, ebenfalls das verbrauchte
Material, also die Butterbrotpapiere von der Palette und die Pinsel aufzubewahren oder sie mit der Contax fotografisch zu dokumentieren.
Ich muss noch etwas darüber nachdenken und würde irgendwann auch gern Deine Auffassung dazu hören. Bis das alles für mich ganz klar ist, bleibt das Raster auf dem Bild noch unberührt.
Ich sehe es als meine Pflicht und Notwendigkeit an, Sorgfalt auch bei so etwas wie "Kunst" anzulegen. Auch auf die Gefahr und große Wahrscheinlichkeit hin, dass dieser Weg oft und zwischendurch
immer wieder in die Irre führen kann. Aber geht Dir das nicht auch so bei all Deinen Texten und trotz Deiner Routine des Schreibens? So etwas wie "Geniestreiche" gibt es, so glaube ich
jedenfalls, nicht. Hinter jedem vermeintlichen Geniestreich steht immer ein erheblicher Aufwand an Arbeit und Zeit, ein Preis, der nur eben schon im Vorfeld bezahlt wurde. In der Kunst (nicht nur
in der Fotokunst) wird das seit der Moderne nicht mehr oder nicht gern gezeigt.
WU, 5.3.19
Dass man für die analoge Dokumentation mit Negativstreifen oder Kontaktabzügen arbeiten könnte, ist ein entscheidender Punkt! Denn mehr und mehr wird es ja als Merkmal der analogen Fotografie
bewusst, dass die Bilder bei ihr in einer eindeutigen, nicht fälschbaren Reihenfolge entstehen (man müsste dazu schon sehr gravierende Manipulationen mit dem Rollfilm vornehmen). Sie haben damit
eine stärkere Referenz zur Realität - ihrer Zeitlichkeit - als digitale Bilder. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es nötig ist, jedes einzelne Kästchen fotografisch zu dokumentieren. Würde man den
Aspekt der Zeitlichkeit nicht besser sichtbar machen, wenn Du z.B. jeden Tag ein Foto machst? Idealerweise immer zur selben Uhrzeit? Und unabhängig davon, ob Du weitergemalt hast an dem Bild oder
nicht? Damit bekommen die Fotos zugleich einen überwachenden Charakter, vielleicht sogar etwas leicht Beklemmendes, was zu dem Thema wiederum gut passen würde.
NP, 7.3.19
Ich habe die letzten Tage immer wieder darüber nachgedacht, wichtig dabei war Dein Hinweis auf die Aktualität im Sinne einer (Selbst-)Überwachung. Es stimmt, die gesamte Umsetzung darf, soll
sogar beklemmend sein, es ist eine Kritik als Anklage und kein nonchalantes Spiel mit Medien, das ist es ja gerade, was ich Mühe zur Last legen will.
Deine Idee einer tagesaktuellen Dokumentation kann ich nicht durchhalten, denn als Konsequenz verlangt dieser Ansatz für mich ein chronologisches Tagwerk, da darf also nichts dazwischenkommen.
Jeder Bruch würde sofort als willkürliche Absicht Fragen nach sich ziehen, was sich „der Künstler dabei wohl gedacht hat“, so wie der eine kleine Fehler von Opalka, der oft genug eine größere
Aufmerksamkeit bekam als sein Werk selbst.
Heute geht der belichtete Film aus der Contax ins Labor. Ich musste erst wieder eine klassische Fotoversandtasche bestellen, das war so herrlich anachronistisch, von Orwonet eine Bestätigung aufs
Smartphone zu bekommen. Die aktuelle Renaissance der Analogfotografie hat – so meine These – vor allem mit dem Siegeszug der Smartphones zu tun, was angesichts ihres fast vollständigen Untergangs
durch die Digitalfotografie paradox und unlogisch klingt. Hat für mich aber mehr mit der Suche und Sehnsucht nach Individualität in einer mittlerweile fast an ISO-Normen erinnernde Standards der
Digitalmoderne zu tun, von der man glaubte, dass das Individuum sich gerade in digitalen Erlebnis- und Bildwelten widerspiegeln könnte.
Mit Mühe zurück zu Mühe: ich werde doch jedes Kästchen mit der Contax fotografieren, weil mich dieser konzeptuelle Ansatz von den Notwendigkeiten einer strengen chronologischen Sachlichkeit
befreit und an seine Stelle die Sachlichkeit der strengen Form und Einzelbausteine des Werks setzt. Ich verlagere den Aufwand sozusagen.
Eine Leerstelle, die mir weiterhin noch fehlte, war die Brücke zu den bestimmenden Parametern der Digitalmoderne. Der Weltgeist spülte jetzt gerade eine abonnierte Mail von Deinem Blog herein,
aber der Titel passt hier schon mal perfekt, es fehlte mir der Bezug zur „Digitalen Bildkultur“. Mir geht es um die Aspekte der Gleichzeitigkeit von Ereignissen, und zwar in Verbindung mit den
Möglichkeiten der digitalen Veröffentlichung. Gerade Smartphone-Fotografie ist eine Art von Öffentlichkeitsfotografie, also genau der Gegenpol zur zeitlich extrem versetzten analogen Bildpraxis,
bei der man erst nach Abgeben und Einschicken der Versandtasche, deren Entwicklungszeit und dem Abholen im Laden (und meistens alleine mit und bei sich) sah, ob die Bilder etwas geworden waren.
Diese Überraschungsmomente in Drogerien oder Fotoläden sind ja nur mit der Analogfotografie möglich, untypisch war das schon in der Digitalfotografie mit der sofortigen Kontrollmöglichkeit,
undenkbar sind solche subjektiven Momente jedoch in der Smartphone-Praxis, die wurden abgelöst von den vielen „Zeigen-Momenten“ ;-)
Ich habe ja eigentlich ein gestörtes Verhältnis zu Instagram. Gestern habe ich aber endlich eine Lösung für meine Leerstelle und gleichzeitig einen Sinn meines Insta-Accounts entdeckt, der für
das Projekt geradezu perfekt geeignet ist als Ergänzung zur Contax-Ebene des Projektes: Ich wollte als Gegensatz zur Contax noch eine Handlungsebene mit dem Smartphone haben.
Ich habe im „Fokusmodus“ des Smartphones gestern Abend ein paar Fotos geschossen. In einer App konnte ich die Fotos auf ein Kästchen beschneiden und Mosaike erstellen und gleich auf
Instagram-Bildgröße setzen, das ging ziemlich flott, ich schicke Dir das mal.
Diese Mosaike werde ich dann auf Instagram hochladen, vermutlich ohne jeglichen Zusatz, ohne weitere Hashtags, ich nutze diese Plattform sozusagen wie ein öffentlich einsehbares „live control
panel“, damit hätte ich dann genau den „überwachenden Charakter“, wie Du das treffend genannt hast.
NP, 26.3.19
Zwischendurch habe ich auch einmal getestet, ob die geplante Zusammenstellung von rein digitalen Kästchen der Auschwitz-Paraphrase mit zusätzlich digital aufgenommenen Fotos des Mühe-Bildes eine
sinnvolle Erweiterung der Auseinandersetzung generieren würde. Kann ich verneinen, da jede noch so randständige inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Sonderkommando-Foto auch immer ihre
Instrumentalisierung bedeutet. Mittlerweile habe ich den (bislang noch vagen) Gedanken, dass die Dualität von Bildaufladung, bzw. Fetischisierung von Werken versus Tabuisierung ein inhärenter
Bestandteil der Auseinandersetzung mit der menschlichen Wahrnehmung der von ihm geschaffenen Welt ist.
Digitale Diptychen werden also nicht umgesetzt. Wohl aber eine zweifache Dokumentation des Mühebildes, einmal als Analogmaterial, einmal als Smartphone-Fotos, wobei ich noch überlege, ob ich das
tatsächlich bei Instagram veröffentliche oder ob ein Tumblr-Fotoblog nicht besser geeignet wäre. Diese Ebene ist mir wichtig, da Mühes konkretes Bild nicht alle Aspekte
deutschnationaler-faschistischer Bildtraditionen übernimmt. Der schiefe Horizont mit seinem inszenierten Schnappschuss-Charakter wäre wie die durchgehende Tiefenschärfe und stark gesättigte
Farben ohne den Siegeszug der Smartphone-Schnappschüsse nur eine von vielen möglichen Umsetzungsmöglichkeiten gewesen. Er hätte sich genauso gut auf Piktorialisten-Weichzeichnung berufen können,
auf Schwarzweiß- oder Sepiakolorit oder auf die ursprüngliche Farbfilmästhetik der frühen Agfacolor-Filme der 30er Jahre. Diese Agfacolor-Ästhetik übernehmen fast alle Photoshop-Künstler wie
Marina Amaral bei der Kolorierung von Schwarzweiß-Fotos, so bleibt bei aller "Modernität" immer noch das "Alte" sichtbar. Würden die Photoshop-Künstler aber die aktuelle Smartphone-Ästhetik
übernehmen, würden wir diese kolorierten Fotos eher als "nicht authentische Fakes" wahrnehmen.
WU, 27.3.19
Du bist ja wirklich immer am Ausprobieren, Nachjustieren, Auf-den-Prüfstand-Stellen Deiner Konzepte. Diesmal stimuliert mich vor allem Deine Überlegung, das Mühe-Bild in seiner Genese auch mit
Smartphone zu fotografieren und die Bilder dann online zu stellen. Ich finde es ausgezeichnet, dass Du die Fragen um das ‚richtige‘ Bild damit in den digitalen Raum hineinträgst und man dort
gleichsam live verfolgen kann, wie das Bild entsteht. Zu überlegen wird sein, wie man den Followern erklärt, was genau da passiert. Wie man ihre Wahrnehmung vorbereitet und
kontextualisiert.
Bis vor kurzem hätte ich ja noch klar für einen Tumblr-Account optiert, aber seit die sich selbst so verstümmelt haben mit ihrer Beschränkung auf Kinderinhalte und Filtern, die fast in jedem Bild
einen ‚Erwachseneneninhalt‘ vermuten, ist wohl doch Instagram der bessere Ort. Außerdem sprengt die Zahl der Bilder den dort üblichen Rahmen, das fällt also viel krasser auf und wird sicher zum
Thema. Twitter wäre parallel auch noch zu überlegen. Denn die Algorithmen dort manipulieren die Chronologie der Tweets nicht, Deine Follower bekommen also exakt mit, wenn es wieder ein Kästchen
gibt. (Bei mir ist’s zumindest so, dass mir Instagram zum Teil Bilder als erste anzeigt, die schon zwei Tage alt sind, Twitter hingegen immer die aktuellsten Tweets.) Es wäre ja keine zusätzliche
Arbeit, Instagram und Twitter zu kombinieren, für letzteres bräuchte man jedoch wohl einen eigenen Account.
Soweit mal diese kurze Anmerkung…
NP, 31.3.19
Du hast recht, ich justiere immer und ständig nach, stets auf der Suche nach dem Besseren. Es nimmt zwar Unmengen an Energie und Zeit in Anspruch, da viele Ideen während der ebenso häufigen
Wiedervorlagen auch wieder im Äther verschwinden, aber dieses Vorgehen ist für mich deshalb umso wichtiger, je mehr Aufwand die Ausführung und Umsetzung als Bild in Anspruch nimmt. Ich glaube,
dass es kein Zufall ist, sondern einer Gesetzmäßigkeit entspricht, dass die - vielleicht sogar unverhältnismäßig - große Sorgfalt bei der Planung und Konzeption die Grundlage für "das Richtige"
ist, egal, um welche kulturellen oder künstlerische Leistungen es sich handelt. Es ist gleichzeitig mein Gegenpol zum Pathos des expressionistischen Mythos vom Genie.
Du hast mit Deinen Gedanken genau das angesprochen, was mich bei der Idee des Einbringens der Fotos in den digitalen Raum umtreibt, wie nämlich die Wahrnehmung und Rezeption kontextualisiert
werden sollte, ja muss, da ich das Dilemma der unbedingt zu vermeidenden Totalverrätselung bei dieser Form der Rezeption als begleitendes ästhetisches Erlebnis zu lösen habe. Ich war mir nicht
sicher, ob ich mir da zu viele Gedanken mache, gerade deshalb bin ich Dir sehr dankbar, dass Du Dich wieder einbringst und Deine Gedanken die dringende Notwendigkeit weiterer Gedanken sogar
unterstreichen. Natürlich muss ich auch endlich eine kleine Website erstellen, wo ich meine bisherigen Werke zeigen möchte.
Einen separaten Twitter-Account hatte ich tatsächlich auch überlegt, mein privater Account umfasst ja auch viele satirische, private und kunstfremde Tweets, super, dass Du dieselbe Idee mit mir
teilst! Bei Instagram würde ich ebenfalls einen ganz neuen Account eröffnen, da ich auf dem bisherigen eventuell auch mal Fotos jenseits der Smartphone-Fotografie zeigen will, so bin ich
flexibel, einen separaten Kunst-Kanal zu haben. YouTube habe ich ja schon, da kann ich dann auch die Filmanimationen in HD-Qualität zeigen.
Also, DANKE für Deine Ideen!
Morgen geht es an die Auschwitz-Paraphrase, das ich ja jeglicher Begleitung entziehe - was auch deshalb passt, da es als angeeignetes Zeitdokument zumindest eine chronologische Begleitung in der
Jetztzeit verbietet.
WU, 1.4.19
Wie schön, dass Du meine Bemerkungen zur Social Media-Verknüpfung Deiner Arbeit so gut aufnehmen kannst. Dann wird das ja eine wahrlich multimediale Angelegenheit. Und je präsenter die einen
Bilder werden, desto markanter ist es andererseits, dass Du das Auschwitzmotiv ganz im Stillen malst, unbegleitet von einer Kamera und einem Publikum. Allein deshalb bekommt es den Charakter
eines Kultbildes - nicht auf das Gesehen-Werden angelegt, sondern eine Geste des Gedenkens. Man sieht an diesem Projekt, welche neuen Möglichkeiten es für Künstler dank der Social Media gibt, das
Zeigen und Nicht-Zeigen ihrer Werke und Werkprozesse gleichsam zu skalieren und so selbst zu einem wichtigen Teil des jeweiligen Gesamtprojekts zu machen.
NP, 2.4.19
Ganz großen Dank für Deine Bemerkung zur "Geste des Gedenkens", so ist es tatsächlich und damit hast Du etwas sehr Wichtiges angesprochen. Gedenken wird in der Digitalmoderne immer spektakulärer
und vor allem öffentlich zelebriert. Man muss das gar nicht kulturpessimistisch bewerten, wohl aber kritisch: Gedenken als verordnete Teilhabe funktioniert so gut wie die Aufforderung zur
Spontaneität. Es gab in den letzten Dekaden immer wieder Stimmen aus den kritischen Ecken der emanzipatorischen Linken bezüglich einer "Gedenkkultur", die ich teile und die, wie man täglich
erkennen muss, nicht viel eingebracht hat. Ich betrachte es eher als Folklore denn als Kulturleistung. Im Gegensatz zur individuellen und damit ernsthaften wie selbstbestimmten Auseinandersetzung
mit dem Objekt eines Gedenkens wird daraus eine öffentliche Veranstaltung als identitäres und soziales Erlebnis.
Ganz wichtig erscheint mir Dein Hinweis bezüglich des absichtlichen Nicht-Zeigens. Ich wunderte mich nämlich etwas, dass dieses Spannungsfeld der Möglichkeiten aus selbstverordneter Nichtteilhabe
in einer Welt digital verordneter Teilhabe noch keinen Künstler auf den Plan gerufen hat. Es kann, ein immer zu beachtendes Prinzip im Design, daran liegen, dass die Versuche gescheitert sind
oder nicht verstanden werden. Trotzdem war und bin ich überzeugt, dass diese "Digitaldialektik" für genau dieses Projekt relevant ist.
NP, 20.4.19
Die subtile, helle Farbgebung des Auschwitzmotivs ist natürlich schon eine echte Aufgabe, aber ich lasse mich auch nicht verleiten, einen Ton für mehrere Kästchen anzumischen, dadurch gibt es
minimale Farbnuancen in den aus der Entfernung einfarbig wirkenden Bildbereichen. Einerseits bekommt das Motiv dadurch eine fast schon frivole Ästhetik, andererseits ist es aber doch so
verfremdet, dass dieses Vorgehen dennoch als absichtliche Gedenkenbezeugung meinerseits erkannt werden kann und die Kritik an Mühes Ästhetik überhaupt erst erfahrbar macht. Mir ist während dieser
Arbeit außerdem aufgefallen, was mich an Richters Birkenau-Zyklus ebenfalls stört: Dass er nicht nur die seit Jahren bewährte gleiche Optik seiner Bilder verwendet, sondern auch die gleiche und
schnelle Machart mit billigen Farben, affizierenden Rakelspuren und flotten Retuschen.
WU, 23.4.19
Oh ja, es ist ein weiteres gewichtiges Argument gegen Richters Auschwitz-Zyklus, dass er sich nicht mal vom Werkprozess her etwas Spezifisches überlegt hat - sondern stur wie immer rakeln ließ.
Auf dieses fast schon makabre Defizit machst Du mit Deinem Projekt ausgezeichnet aufmerksam!
Wir haben neulich übrigens Donnersmarcks Film „Werk ohne Autor“ angeschaut - und wenn Richter nicht selbst so dreist wäre, könnte man geradezu Mitleid mit ihm haben, da seine Biografie extrem
manipuliert wird, damit das amerikanische Publikum eine möglichst pathetisch-kompakte ‚deutsche‘ Story geboten bekommt. Man fragt sich schon, was Donnersmarck da getrieben hat.